Warum Sie Olivenölexperte werden sollten

Wie erkennt man gutes Olivenöl?

Wenn es um Wein geht, dann ist heute jeder Zweite ein halber Sommelier. Im Lokal lassen wir uns die Weinkarte bringen. Wir schwenken gekonnt das Glas mit der Weinprobe, um dann dem Kellner mit einem Nicken zu verstehen zu geben, dass die Qualität entspricht. Doch fragt man nach Olivenöl, dann ist das Wissen darüber in der Regel geradezu beschämend. Wussten Sie, dass es weltweit über 1.000 Olivensorten gibt? Keine zu 100 Prozent der anderen gleicht? Öl keineswegs gleich Öl ist? Gehören Sie auch zu den Menschen, die grüne und schwarze Oliven für zwei verschiedene Sorten halten?

Olivenöl ist mindestens so spannend wie (guter) Wein. Es zu verkosten und zu einer Speise das passende Öl auszuwählen, ist nicht minder bereichernd, wie der Genuss hochwertiger Weine. Dass zu Fisch Weißwein empfohlen wird, davon haben Sie schon gehört. Dass dazu eher ein delikates als ein intensives Olivenöl passt, und was das bedeutet, das erfahren Sie in den folgenden Absätzen. Buon appetito!

Skandale rund ums Öl

„Extra ranzig statt extra vergine – der stern enthüllt die schmierigen Geschäfte mit gepanschtem Öl.“ „90 % aller Olivenöle sind fehlerhaft!“ Diese und andere Überschriften aus den Medien machen deutlich, dass bei Olivenöl nicht alles im grünen Bereich ist. Doch das scheint nicht genug zu sein. Der (österreichische) Wein hatte 1985 „seinen“ großen Skandal, als Winzer auf die schlaue Idee kamen, billigen Fusel mit einem Inhaltsstoff von Frostschutzmitteln zu „verbessern“. Einem gewaltigen Medienecho folgte der Kollaps. Das Vertrauen des Verbrauchers war nachhaltig zutiefst erschüttert. 35 Jahre später hat Österreich eines der strengsten Weingesetze der Welt und – das Entscheidende – exekutiert selbiges auch. Heute genießt österreichischer Wein Weltruf. Der Form halber sei freilich erwähnt, dass nicht bekannt ist, wie sich die hiesige Weinqualität ohne den Weinschwindel entwickelt hätte.

„90 % aller Olivenöle sind fehlerhaft!“

Am 1. Mai 1981 stirbt in Madrid ein achtjähriger Junge an einer atypischen Lungenentzündung. In der Folge erkranken weit über 20.000 Menschen, hunderte sterben (je nach Quelle zwischen 200 und mehreren tausend). Als Ursache, die bis heute nicht bewiesen werden konnte, wird eine, später als Spanisches Ölsyndrom benannte, „Erkrankung“ festgemacht. Was war geschehen? Eine Gruppe von Ölpanschern hatte vergälltes Rapsöl, gedacht für industrielle Zwecke, mit anderen Ölen gemischt und als Olivenöl vermarktet. Straßenhändler verkauften es in 5-Liter-Kanistern – vorwiegend an ärmere Leute. Experten bezweifeln das Öl als mögliche Ursache für ein derartiges Ausmaß. Eine Theorie, die ebenso wie die Öl-Theorie nie bewiesen werden konnte, will in pestizidverseuchtem Gemüse die Ursache für die Epidemie gefunden haben. Wir werden es wohl nie erfahren. Klar ist, dass es sich sicherlich um den größten Kriminalfall in der „jüngeren“ Geschichte des Olivenöls handelt. Und das, wo vermutlich noch nicht mal ein Tropfen Olivenöl im Spiel war.

Die vielen Skandale und Skandälchen rund ums Olivenöl schaden dem Produkt, doch sie bringen es nicht zu Fall. Vielleicht wäre genau das notwendig, um bei null zu beginnen – mit Qualität statt Massenware. Eine neue Epidemie, um dies zu erreichen, wünscht sich freilich niemand. Selbst das Spanische Ölsyndrom hat dem Gepansche kein Ende bereitet. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen lassen allerhand zu, und vor allem die Exekution der geltenden Bestimmungen ist alles andere als befriedigend. Die Folge all dessen ist, dass Olivenöl – über einen Kamm geschoren – im Allgemeinen keinen besonders guten Ruf genießt. Wenn „Extra Vergine“ eh auf jeder Flasche steht, was sind dann die Kriterien, nach denen man als Konsument gehen soll? Der Preis? Wohl kaum. Das Herkunftsland? Da wird doch auch nur geschummelt. Bio-Produkt? Laut Tests eh um nix besser. Ich sage Ihnen wonach man gehen kann, ja muss: Nach der eigenen Nase und dem eigenen Gaumen! Und (fast) nur danach! Wir kommen nicht umhin, selbst herauszufinden, ob sich in der Flasche ein gutes Olivenöl befindet, oder wie in 9 von 10 Fällen: ein Produkt mit Fehlern, die so stark ausgeprägt sein können, dass das Öl als Lebensmittel gar nicht verkauft werden dürfte.

Olivenbaum

Verkosten – los gehts!

Klingt kompliziert – ist es nicht. Entscheidend sind drei Qualitätsfaktoren, die alleine schon sehr viel über ein Produkt aussagen: Frucht, Bitterkeit und Schärfe. Also, lassen Sie uns beginnen! Nehmen Sie das Objekt der Wissbegierde zur Hand. Ignorieren Sie das Etikett! Ich habe die besten Öle aus Flaschen mit grafisch fragwürdig gestalteten Aufklebern probiert, ebenso wie ranzige Gaumenbeleidiger aus edelsten Flakons. Nur wenige Dinge sind bei der Verpackung zu beachten: Das Glas sollte zum Schutz des Inhaltes möglichst dunkel sein, und heutzutage sind Verschlüsse, die nicht wiederbefüllbar sind, auf dem Vormarsch. Eine traurigerweise notwendige Maßnahme und ein Schutz zugleich. Außerdem gilt: Je kleiner das Behältnis, desto kürzer die Haltbarkeit! Warum? Je kleiner die Flasche, desto größer die Oberfläche des Öls, die dem Sauerstoff ausgesetzt ist. Tom Mueller zitiert in seinem spannenden Olivenölbuch „Extra Vergine“ den ambitionierten Olivenölhersteller Paolo Pasquali mit den Worten:

„Öl ist ganz anders als Wein. Wein altert, Öl wird schlecht. Sobald Öl in eine Flasche abgefüllt wurde, beschleunigt sich der Verfall.“

Holen Sie ein bauchiges Glas, etwa ein kleines Rotweinglas oder einen Cognacschwenker aus dem Schrank. Wärmen Sie es mit den Händen vor. Gießen Sie etwa die Menge eines Schnapsglases (nicht zu wenig!) Öl in das Gefäß. Umschließen Sie das Glas mit der einen Hand und decken Sie es mit der anderen ab, damit uns die feinen Aromen ja nicht flöten gehen.

1. Riechen – grün und frisch

Schwenken Sie das Glas dabei ein wenig und sinnieren Sie für ein paar Augenblicke. Vielleicht erinnern Sie sich nochmal an den letzten Urlaub, aus dem Sie die schöne Flasche mitgenommen haben. Genießen Sie diesen Moment des Innehaltens. Jetzt nehmen Sie die Hand vom Glas und riechen ausgiebig an dem Öl. Aromen von frisch geschnittenem Gras, Tomatengrün oder Artischocken könnten Ihnen jetzt in den Sinn kommen. Auch „grüne Banane“, „grüner Apfel“ und Mandeln sind typische Eindrücke guter, frischer Olivenöle. Nachteilig sind dagegen Aromen, die Assoziationen von Wein, Heu, überreifem Obst oder Essig hervorrufen. Werden Oliven nicht rasch nach der Ernte zu Öl verarbeitet, beginnen sie zu fermentieren und rufen diese Gerüche hervor. Selbst „Vanille“ findet man oft in Ölen, die nicht ganz koscher sind. Erwünscht hingegen sind frische, grüne und florale Noten. Alles, was (über-)reif, vergoren, stechend, metallisch, modrig, muffig, ranzig oder irgendwie unangenehm in der Nase liegt, ist ein Zeichen für ein Fehlaroma und bedeutet: Dieses Öl ist vermutlich kein Extra Vergine!

Olivenöl verkosten

2. Schmecken – schön bitter

Wenn Ihnen jetzt noch danach ist: Nehmen Sie einen Schluck. Wenn Sie nicht auf Ihren Geruchssinn gehört haben und Ihr Körper sagt „raus damit!“, dann glauben Sie ihm. Viele fehlerhafte Olivenöle fühlen sich im Mund so grauenhaft an, dass man sie instinktiv sofort wieder loswerden will, und diesem Gefühl sollten Sie auch nachgeben. Sind sie noch im Rennen? Gratuliere! Verteilen Sie das Öl im Mundraum. Gute Olivenöle fühlen sich angenehm flüssig an. Ein wenig „fluides“, also ein dickflüssiges Öl, ist ein schlechtes Zeichen. Als Fortgeschrittener holen Sie jetzt, begleitet von einem schlürfenden Geräusch, zwei- bis dreimal Luft durch den Mund, um die Geschmacksknospen so richtig in Fahrt zu bringen. Der entscheidende Geschmackseindruck bei Olivenöl ist bitter – mehr oder weniger. Dies ist ein positives Zeichen – allerdings nur dann, wenn die Bitterkeit ausgewogen im Verhältnis zur Fruchtigkeit und Schärfe ist und nicht unangenehm anmutet. Ein Geschmack von nicht vollreifen Oliven, frischen Bananen oder grünen Äpfeln wäre typisch und sehr zu begrüßen. Auch andere frische, fruchtige und bitter-nussige Aromen sind positiv zu bewerten. Hat das Öl keinen oder einen schalen, ranzigen, rauchigen, metallischen, trockenen, überreifen, essigartigen oder generell unangenehmen Geschmack, dann ist es nicht fehlerfrei, und das heißt wiederum: Dieses Öl ist vermutlich kein Extra Vergine!

3. Spüren – das kratzt

Zum Schluss schlucken Sie das Öl hinunter. Wenn Sie sich bisher noch nicht sicher waren, kommt jetzt noch ein entscheidendes Element in der Beweisführung: Die Schärfe. Ein deutliches „Kratzen“ ist ebenso wie Frucht und Bitterkeit ein positives Merkmal und ein Zeichen reichlich vorhandener Polyphenole, die gefäßschützend, antikanzerogen und entzündungshemmend wirken. Ein Öl, das keinerlei Schärfe aufweist, ist selten fehlerfrei. Wenn doch, dann ist es nur relativ kurz haltbar, da die Polyphenole nicht nur uns Menschen schützen, sondern in erster Linie das Öl selbst. Fazit: Ein Öl, das überhaupt nicht fruchtig, bitter und scharf ist, oder unausgewogen bitter, ist selten gut. Die Schärfe kann man übrigens auch spüren, wenn man das Öl in den Rachen laufen lässt und dann wieder ausspuckt. Stark fehlerhafte Öle können einem nämlich gehörig den Magen verderben. Oft, wenn ich jemanden zu Olivenöl berate, höre ich den immer gleichen Wunsch nach einem möglichst milden Öl. Viele Leute kennen nur Olivenöl der typisch schlechten Qualität. Da wäre es ihnen lieber, es wäre milder – also aus ihrer Sicht damit vermeintlich besser. Milde ist aber kein Qualitätsmerkmal. Tatsächlich sind milde Öle häufig ranzig, weil sie oft wenig fettschützende Polyphenole enthalten.

Analyse Polyphenole

Zum Vergessen – so nicht

Spanien ist der größte Olivenölhersteller – Italien der wichtigste Vermarkter. Ein großer Teil der verkauften Extra-Vergine-Produkte entspricht nicht der gleichlautenden, höchsten Qualitätskategorie. Viele Öle sind einfache Vergine-Olivenöle (Kategorie 2), ein Großteil wird von Experten gar als Lampantöl eingestuft. Produkte letzterer „Qualität“ dürften gar nicht als Lebensmittel verkauft werden. Sie sind nur als Brennstoff für Öllampen geeignet (daher lampant). Diese – häufig spanischen – Olivenöle haben einen moschusartigen Geruch, sind wärmestichig und essigsauer (beides durch Gärprozesse, die z.B. bei zu dicht gelagerten oder faulen Oliven entstehen). Sie charakterisieren leider genau jenes Aroma, das die meisten als „typisch Olivenöl“ kennen. Italienische Verkoster nennen diesen Geruch übrigens pipí di gatto. Ich sag nur soviel: gatto heißt Katze... Bitte öffnen Sie jetzt die entsprechende Schublade in der Aromaabteilung Ihres Gehirns und füllen Sie selbige neu: Alles, was Sie bisher als Olivenölaroma dort einsortiert haben – jetzt neu abspeichern, als „(stark) fehlerhaftes Olivenöl – nicht gut!“.

Katze

Dies geht übrigens einher mit einer ebenso oft gehörten Tatsache, dass viele den Geruch von erwärmtem Olivenöl nicht leiden können. Kein Wunder, verstärkt die Wärme doch die Fehlaromen und verteilt sie wie eine Stinkbombe in der ganzen Küche. Aufgabe an dieser Stelle: Erhitzen Sie ein gutes Olivenöl – duftet herrlich! Wie erwähnt, ist Öl nicht gleich Öl. Der Charakter eines Olivenöls wird maßgeblich durch die Sorte beeinflusst. Aber auch die Herstellung, der Erntezeitpunkt, der Standort und das Wetter spielen eine gewichtige Rolle, in welche Kategorie ein Olivenöl einzuordnen ist. Man unterscheidet zwischen leichten (delicato), intensiven (medio) und sehr intensiven Ölen (intenso). Diese Einstufung ist abhängig von zunehmender Fruchtigkeit, Bitterkeit und Schärfe sowie dem Verhältnis dieser drei Faktoren zueinander. Wie vorhin schon erwähnt, bevorzugt man hierzulande zunächst eher leichte Öle. Es ist aber zu beobachten, dass kaum jemand, der sich erst mal in Olivenöl verliebt hat, lange zuwartet, um sich schließlich den pfeffrigen Ölen zuzuwenden und es letztlich gar nicht scharf genug haben kann. Sie merken, ich schweife ab. Kein Wunder, ich bin ja selbst befallen vom Virus Olivenöl.

Zum Genießen – das passt

Kommen wir zurück zur eingangs erwähnten Speisenempfehlung. Welches Öl wofür? Faustregel: Milde Speise – leichtes Öl, deftige Speise – intensives Öl. Ein bitteres Intenso an einem leichten Fischgericht ist ebenso fehl am Platz wie ein obstiges Delicato an einem Chili con Carne. Da ist es im ersten Fall schade um den geschmacklich übertönten Fisch, und beim Chili ist ein leichtes Öl, das keine Chance hat gegen die intensiven Aromen des Gerichts, verschwendet. Olivenöl passt übrigens auch wunderbar zu Süßspeisen. Hier sollte allerdings ein Öl mit fruchtigem Obstaroma, etwa nach Bananen, Äpfeln oder Waldbeeren einem Produkt mit vorwiegend grasigen Noten vorgezogen werden. Letzteres würde sich sehr schön an einer typischen Bruschetta machen. Hier sind dem eigenen Geschmack und all Ihrer Kreativität keine Grenzen gesetzt! Vielleicht bleibt es ein frommer Wunsch, wenn ich davon träume, dass dem Olivenöl in der Gastronomie eines Tages ähnliche Aufmerksamkeit zuteil wird wie dem Wein. Mit Olivenölkarte, Empfehlung und Degustation. Das wäre schön.

Literatur:

  1. Mueller, T | Extra Vergine | redline | 1. Auflage 2012
  2. Merum | Dossier Olivenöl | 4. Auflage
  3. Der Spiegel | „Das Giftöl machte die Ratten nur fett“ | 11/1987
  4. „stern“ | Heft 26 | 2014
  5. Ö1 | „Der Weinskandal“ | http://oe1.orf.at/artikel/206974
  6. Braun, P | www.nachrichten.at | 06. Juni 2014
  7. Jäger, R | Extra natives Olivenöl – Mediterranes Gold | truenatureverlag
  8. Wikipedia (DE/EN) | Glykolwein-Skandal | Spanisches_Ölsyndrom | Toxic_oil_syndrome
  9. Spanien Bilder | Giftöl-Skandal in Spanien | http://www.spanien-bilder.com/lexikon/giftoel-skandal-in-spanien.htm
(, zuletzt aktualisiert: )

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